Abschied vom Elternhaus

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Das Haus der verstorbenen Eltern aufzulösen, kann kräfteraubend sein – körperlich wie psychisch. Wie sich die Ausnahmesituation stressfrei bewältigen lässt und der Abschied für immer gelingen kann.

Text: Stefanie Hutschenreuter

Wie soll ich das bloß schaffen? Das ist die Frage, die vielen Menschen als Erstes durch den Kopf schießt, wenn sie vor der Aufgabe stehen, das Haus oder die Wohnung der Eltern nach deren Tod aufzulösen. Wohin nur mit den Dingen, die Mutter und Vater angesammelt haben? Was kann weg, was will ich behalten und wie soll ich mit den Emotionen umgehen, die beim Aussortieren unweigerlich aufkommen werden? „Eine ganz normale Reaktion“, sagt Christina Erdmann, die Menschen dabei unterstützt, ihr Elternhaus einfühlsam, umsichtig und strukturiert aufzulösen.

Die promovierte Diplom-Pädagogin weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend und fordernd diese Situation sein kann. In ihrem Buch „Adieu Elternhaus“ hat sie ihre Erkenntnisse zu einer praxisorientierten Schritt-für-Schritt-Anleitung zusammengefasst, mit der auch andere die Belastungsprobe des Elternhausauflösens physisch wie psychisch meistern können.

Wenn die Erinnerungen kommen

„Fangen Sie nicht in den Räumen Ihrer Eltern an. Beginnen Sie mit sich selbst“, lautet Erdmanns erster Rat nicht nur für all jene, denen es schwerfällt, das Projekt anzugehen. „Das mag im ersten Augenblick ungewöhnlich klingen. Aber es hilft, sich zunächst mit den eigenen Empfindungen und Erinnerungen zu beschäftigen, um danach gut beim Sortieren und Ausräumen voranzukommen“, erläutert sie. Die Expertin empfiehlt, sich schöne, aber auch unschöne Erlebnisse im Elternhaus ins Gedächtnis zu rufen und aufzuschreiben.

Wegwerfen, spenden oder verkaufen? Nach dem Tod der ­Eltern müssen die ­Angehörigen entscheiden, was mit den Dingen passiert. Oft sind ganze Samm­lungen dabei.

Auch Fotos vom Haus und von prägnanten Stücken darin zu machen, sei sinnvoll. Denn der Abschied fällt in der Regel leichter, wenn man weiß, dass man anhand von Notizen oder Fotos die Erinnerung daran jederzeit auffrischen kann. Sollte man keine so guten Gefühle mit dem Ort verbinden, kann man Aufzeichnungen und Bilder ganz bewusst einzeln löschen, um ihn entschlossen loszulassen.

Mindestens ebenso wichtig ist es aber auch, sich über die rechtliche Situation klar zu werden. Darf man das Haus oder die Wohnung überhaupt auflösen? Hat man zum Beispiel die Erlaubnis der miterbenden Geschwister oder des überlebenden Elternteils, um Verträge zu kündigen und die Wohnung auszuräumen? „Ich plädiere dafür, dass Eltern die im Ernstfall nötigen Bevollmächtigungen zu Lebzeiten einem Kind erteilen, auch wenn es schwierig ist, denn das erleichtert die Situation der Erben später ungemein“, rät Erdmann. Sind keine Vollmachten vorhanden, kann es sinnvoll sein, den Rat eines auf Erbrecht spezialisierten Anwalts einzuholen.

„Beginnen Sie nicht in den Räumen der Eltern, sondern bei sich selbst“

Nicht selten kommt es zwischen erbenden Geschwistern beim Auflösen der Wohnung der Eltern zum Streit. Auslöser sind meist Familienkonflikte aus der Vergangenheit. Auch dann kann juristischer Rat notwendig sein. Erdmann rät in so einem Fall jedoch eher zu einer Erbmediation. Inzwischen sind in fast jeder größeren deutschen Stadt Erbmediatoren zu finden. „Das ist etwas, das durchaus eine einzelne Person ohne Einverständnis oder Konsens mit den anderen anstoßen kann“, erklärt sie.

Ein Erbmediator tritt dabei nicht als Anwalt einer Partei auf, sondern versteht sich als Helfer für alle. So können selbst Hinterbliebene, die seit Jahrzehnten in einer Familienfehde leben, für dieses eine Ziel des Elternhausauflösens an einem gemeinsamen Tisch zusammenfinden.

Organisieren vorm Sortieren

Wenn es dann ans Aussortieren geht, sollte auch geklärt werden, was mit der Immobilie passiert. Bei Eigentum stellt sich die Frage: das Haus oder die Wohnung verkaufen oder vermieten? Handelt es sich um ein Mietobjekt, muss der Mietvertrag gekündigt werden. Egal, was geschehen soll, immer sind dafür Dokumente und Urkunden notwendig. Sie zusammenzusuchen, hat daher absolute Priorität. Mit der Entscheidung, was mit der Immobilie passieren soll, steht meist auch fest, bis wann alles erledigt sein muss. Für diesen Zeitraum gilt es, sich Zeit im Alltag freizuschaufeln und eventuell Urlaub zu beantragen. Falls nicht schon geschehen, sollten jetzt auch alle haushaltsnahen Verträge gekündigt werden.

Erdmann rät, sich zunächst einen Überblick zu verschaffen, was zeitlich, organisatorisch und finanziell auf einen zukommt. Eine Aktivitätenliste pro Raum zu erstellen, bringt erste Klarheit, was zu tun ist. Grob könne man damit rechnen, dass man beim strukturierten und entschlossenen Ausräumen im Schnitt ein Zimmer pro Tag schaffe. „Das ist aber äußerst unterschiedlich. Übergebe ich beispielsweise alles an einen Entrümpler, geht es viel schneller“, sagt sie. Und auch mit Unterstützung von Dritten kann so manches in kürzerer Zeit erledigt werden. Erdmann schlägt vor, Helfer gezielt nach ihren Talenten auszuwählen – vom Verkaufsroutinier bis zur Spürnase.

Zu bedenken ist auch, dass beim Auflösen des Elternhauses Kosten entstehen, etwa für Container, Entrümpelungsfirma oder Sperrmüll. Schnell können so mehrere Tausend Euro zusammenkommen. Unter Umständen lassen sich die Entrümpelungskosten als Nachlassverbindlichkeit im Rahmen der Erbschaftsteuererklärung geltend machen oder als haushaltsnahe Dienstleistung von der Einkommensteuer absetzen. Geld sparen kann, wer selbst zum Recyclinghof fährt oder Dinge spendet, verschenkt oder verkauft (siehe Tabelle). Letzteres jedoch kostet sehr viel Zeit. Nicht zuletzt sind bei privaten Entsorgungsfahrten auch Miete und Benzin für einen Lieferwagen zu zahlen.

Räumen nach Kategorien

Dann folgt das Sortieren. Dabei geht es darum, nach dem Entfernen der Erinnerungsstücke für sich selbst Struktur in den Hausstand zu bringen: Was wird verkauft, was verschenkt, was entsorgt? Erdmann empfiehlt, nach Kategorien zu räumen, also immer eine Art von Gegenständen an einem Ort zusammenzutragen und dann über deren Verbleib zu entscheiden.

Auf einem Flohmarkt oder im Internet lassen sich Erbstücke verkaufen, die man nicht benötigt.

Beginnen sollte man mit etwas, das schnell Platz schafft und für einen selbst wertlos ist. Wenn es sehr schwerfällt, sich von Stücken zu trennen, kann Upcycling eine Lösung sein. Mit etwas Kreativität entsteht aus Büchern ein Regal, aus der Lieblingsschallplatte eine Küchenuhr, und Modeschmuck wird zur Collage fürs Wohnzimmer.

Erdmanns Tipp zum Schluss: Man sollte sich Zeit für den letzten Moment im Haus oder in der Wohnung nehmen. Nur so könne man sich wirklich verabschieden und loslassen.

 

Zu Lebzeiten vorsorgen

Wie man es den Hinterbliebenen leichter macht.

Wenn Eltern ihren Kindern frühzeitig Vorsorge- und Kontovollmachten erteilen, haben diese es später leichter beim Auflösen des elterlichen Hausstands. Handlungssicherheit für die Hinterbliebenen im Todesfall schafft auch ein notariell beglaubigtes Testament, das beim Amtsgericht hinterlegt ist. Aber auch ganz praktische Vorsorge ist möglich, etwa indem die Eltern regelmäßig ihren Hausstand ausmisten. Im Gegenzug sollten Angehörige rechtzeitig das Gespräch mit den Eltern suchen und sich informieren, ob es eine Sterbegeldversicherung und Verträge zur Altersvorsorge mit Hinterbliebenenschutz gibt. So laufen sie nicht Gefahr, dass im Todesfall Vermögen durch Unwissenheit verloren geht.

Fotos: Adobe Stock

 

 

 

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