Der Kaffee dampft. Noch fünf Minuten bis zum Start des Webinars. Statt Konferenzraum gibt’s Küchentisch. Willkommen in der neuen Welt der Weiterbildung.
Text: Sarah Lohmann
Weiterbildung erfolgt heute oftmals online. Auch die 31-jährige Grafikdesignerin Jess H. hat diesen Weg gewählt. Sie entschied sich für eine digitale Weiterbildung in Online-Marketing und Projektmanagement an der Erfurter International University of Applied Sciences (IU). „Ich war arbeitssuchend und wollte mich breiter aufstellen“, erzählt sie. Die IU bot ihr Flexibilität und ortsunabhängiges Lernen.
Genau wegen dieser Vorteile nutzen zahlreiche Firmen digitales Lernen, wie die „Haufe E-Learning Benchmarking Studie 2024“ bestätigt. Danach setzen rund 88 Prozent der Unternehmen auf Online-Formate. Besonders beliebt: Videos. 84,7 Prozent bevorzugen sie.
Auch Jess schätzte zunächst diese Unabhängigkeit. Die Inhalte waren zentral verfügbar, sie konnte von überall aus lernen. Die Theorie: ziemlich smart. Die Umsetzung hingegen: ausbaufähig. „Lernen muss sich massiv flexibilisieren und zu unseren Alltagsinseln passen“, sagt Patrick Gilroy, Referent für künstliche Intelligenz und Bildung beim TÜV-Verband. Umso wichtiger sei aber, dass die didaktische Qualität nicht auf der Strecke bleibe.
Es hakt und hinkt
„Man bekommt ein digitales Skript. Das sind Slides, die man durchklickt“, erklärt Jess. Unterstreichen, markieren, Karteikarten in App-Form: Mehr sei nicht möglich gewesen. Videos? Gab es. „Aber das waren nur Aufzeichnungen früherer Online-Sessions“, sagt sie. Das gesamte Lernsystem empfand sie als technisch instabil und weniger innovativ als erwartet.

Im Vergleich zu anderen E-Learning-Plattformen mit Gamification, also spielerischen Inhalten, oder mit adaptiven Lernpfaden, die sich dem individuellen Wissensstand und Tempo anpassen, wirkte ihr Kurs wie ein digitalisiertes Studienheft. Nach einem kurzen Einführungstermin war Jess dann auf sich selbst gestellt. Der Kontakt zu Dozenten lief über Teams-Chats, der Support reagierte spät. „Ich war ständig am Telefon, nur um irgendwo eine Antwort zu bekommen“, erzählt sie.
Ihre Wahrnehmung deckt sich mit Studienergebnissen. Laut der „TÜV-Weiterbildungsstudie 2024“ hält nur 1 Prozent der befragten Firmen reine Online-Formate für die beste Lösung. Viel beliebter ist das Blended Learning, also die Kombination aus Präsenz- und Online-Einheiten, denn ohne Austausch und fachliche Begleitung bleiben viele auf der Strecke. Auch aus Expertensicht ist der Weg klar. „Oft ist reines Online-Lernen nicht optimal. Gefragt ist das Beste aus beiden Welten“, erklärt Gilroy.
Zwischen Log-in und Lerneffekt
Am Angebot mangelt es nicht. Vom Mikrokurs bis zum Online-Studium ist heute alles möglich. Neben der IU zählt auch die staatliche Fernuniversität in Hagen zu den etablierten Online-Hochschulen. Der Bachelor startet dort ab etwa 2000 Euro, ein Master ab 700 Euro. Noch niederschwelliger sind Plattformen wie Udemy, Coursera, Linkedin Learning oder Skillshare. Dort warten spezialisierte Wissenshäppchen, vom Coding-Kurs bis zur Illustrationsklasse. Viele starten bereits ab 10 Euro, oft mit Flatrate-Zugang.
Wer es praxisnah und berufsbezogen braucht, landet oft bei ILS oder SGD. Dort gibt’s Kurse zur Vorbereitung auf IHK-Prüfungen, Schulabschlüsse oder berufliche Qualifikationen, etwa zur Tourismusfachwirtin oder zum Ernährungsberater. Ebenfalls gefragt: die TÜV-Akademien, die mehr als 600 Weiterbildungsthemen anbieten, viele als Blended Learning oder als interaktive Online-Trainings.

Doch viele digitale Lernangebote gehen einen Schritt zu weit. Plattformen, Hochschulen und Akademien setzen zunehmend auf Automatisierung und künstliche Intelligenz. Welche Probleme das bringen kann, zeigt sich vor allem dort, wo Lernende wie Jess H. plötzlich allein mit einem Chatbot sitzen, der bei der Prüfungsvorbereitung helfen soll. „Das hat bedingt funktioniert“, sagt sie nüchtern.
Die Qualität muss stimmen
Die Idee war gut, die Umsetzung holprig. Ein typisches Beispiel für das, was Patrick Gilroy vom TÜV-Verband oft beobachtet: „KI ist kein Shortcut. Sie muss dem Lernziel dienen – und nicht zum Selbstzweck werden.“ Trotzdem kann KI viel leisten: Inhalte sortieren, Fragen beantworten, zum Weiterlernen motivieren. Sie steht rund um die Uhr zur Verfügung, wirkt freundlich, reagiert schnell. Und doch bleibt sie begrenzt. „KI kann sympathisch und empathisch wirken, aber sie ersetzt keine fundierte Ausbildung“, warnt Gilroy (siehe Interview).
Online-Weiterbildung ist gekommen, um zu bleiben. Und ja, das kann funktionieren. Aber: Digital ohne Didaktik bleibt Stückwerk. Und das reicht oft nur für kleinere Spezialkurse.
„Die Zukunft gehört dem Mix“
Patrick Gilroy, Referent für künstliche Intelligenz und Bildung beim TÜV-Verband.

Mein Lübecker: Herr Gilroy, woran erkennt man qualitativ gute Online-Fortbildungen?
Patrick Gilroy: Zum Beispiel an einem klaren Konzept, definierten Lernzielen und regelmäßigen Aktualisierungen. Wer ein Weiterbildungsangebot prüft, sollte genau hinschauen.
ML: Ist reines E-Learning überhaupt sinnvoll?
Gilroy: Rein digitale Formate haben ihre Grenzen. Die Zukunft gehört dem Mix, also Blended Learning. Präsenzveranstaltungen, Webinare, digitale Lernplattformen, KI-basierte Tutorensysteme: All das gehört zusammen. Aber: Alles muss didaktisch untermauert sein.
ML: Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz heute in der Weiterbildung?
Gilroy: KI kann das Lernen individueller gestalten und rund um die Uhr unterstützen. Sogar motivieren kann sie. Sprachlern-Apps machen das schon gut, dort gibt es Pokale fürs Dranbleiben. Aber die KI ersetzt weder Lehrende noch echte Lern-Erfahrung komplett. Niemand lernt Schweißen auf Google, und Führungskompetenz entsteht auch nicht im Dialog mit einem Bot.
Fotos: Adobe Stock, Tobias Koch Illustrationen Adobe Stock