Wearables erobern den breiten Markt. Die Geräte sind leistungsfähiger als früher, es gibt viele neue Anwendungen. Besonders vielversprechend: Smartglasses.
Text: Christine Mattauch
Ein Fitness-Coach, der einen kurz antippt, wenn man mal wieder schief und krumm am Schreibtisch sitzt: Das ist die Idee hinter Straight-Up, einem Textilprodukt mit Trainingsfunktion. Studenten aus Karlsruhe haben es entwickelt. Verharrt der Nutzer zu lange in einer ungesunden Haltung, gibt das Wearable Feedback: Bitte bewegen!
Praktisch, chic und manchmal ein Statussymbol: Wearables sind im Kommen. Lange waren die Minicomputer, die am Körper getragen werden, eine Nische für Technikfreaks. Jetzt werden sie zu smarten Begleitern für jedermann. Immer mehr Spielarten kommen auf den Markt. Zu den bereits etablierten Smartwatches und Fitnesstrackern gesellen sich intelligente Schmuckstücke, Textilien, Kopfhörer oder Schuhsohlen. Ein Grund: Künstliche Intelligenz erweitert das Spektrum der Funktionen. „Es gibt viele sinnvolle Anwendungen, die die Lebensqualität verbessern“, meint Reinhard Karger vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken.
Die Preise für Neuheiten sind oft hoch
Doch lohnt sich ein Kauf der – oft teuren – Geräte wirklich? Da scheiden sich die Geister. Zum Beispiel beim Samsung-Galaxy-Ring, der im vergangenen Jahr für 450 Euro auf den Markt kam. Ein Gesundheitstracker, der überdies das Handy steuern kann. Der deutsche Blogger Kay Olhoeft, der als „Technikfaultier“ auf Youtube Neuheiten vorstellt, war nicht begeistert. Zwar lobte er das geringe Gewicht und die Stabilität, fand aber das Tracking ungenau und vermisste Funktionen. Sein Fazit: „Er ist mir zu teuer für das, was er aktuell kann.“ In den USA jedoch war der Ring kurz nach seiner Einführung ausverkauft.

Echte Neuheiten sind meist schon deshalb hochpreisig, weil die Startauflage niedrig ist und es wenig Konkurrenz gibt. Wer nicht als Early Adopter unterwegs ist, also als jemand, der immer sofort das Neueste haben muss, kann allein durch Abwarten Geld sparen. Klassische Fitnesstracker in Armbandform sind heute in passabler Qualität schon für 30 Euro erhältlich. Ansonsten hilft die Frage: Brauche ich das wirklich?
Per Schmuckstück zum Fotoalbum
Wobei auch eine Spielerei individuellen Nutzen haben kann, wie das Beispiel Jourries zeigt. Das Neusser Start-up produziert smarte Armbänder und Ketten und verkaufte im ersten Jahr über 10.000 Stück zum Preis von 69 Euro und mehr. Dabei ist die Leistung der Schmuckstücke überschaubar: In der Fassung ist ein Chip verbaut, der eine auf dem Handy gespeicherte Bilddatenbank öffnen kann.

Selbst Jourries-Mitgründer Moritz Tschischkale gibt zu, dass man sein Produkt rational betrachtet nicht brauche – „aber es hat definitiv einen emotionalen Mehrwert“. Verliebte schenken sich auf diese Weise eine Erinnerung an den ersten gemeinsamen Urlaub, Eltern ihren Kindern Babyfotos – Bilder, die sonst im Smartphone-Speicher untergehen.
Der Haltungstrainer Straight-Up der Karlsruher Studenten, die mit ihrer Erfindung inzwischen ein Start-up gegründet haben, ist ein anderes Kaliber. Die schmalen Gurte sind gespickt mit Technik wie neuartigen Sensoren und einer superelastischen Metalllegierung. Zur Steuerung wird KI eingesetzt. Als Lifestyleprodukt mit medizinischem Nutzen wäre Straight-Up für viele Menschen attraktiv, glaubt Mitgründer Jan Bartenbach, schließlich litten mehr als 20 Millionen Deutsche unter Rückenschmerzen. Von Konkurrenzprodukten unterscheidet es sich durch eine Messmethode, die das Team gemeinsam mit einem Physiotherapeuten entwickelt hat. Noch gibt es den Haltungstrainer allerdings nur als Prototyp. „Wir verhandeln mit einem Partner über die Serienherstellung“, so Bartenbach.
Viele Neuerungen, über die schon berichtet wird, weil sie zum Beispiel auf Messen vorgestellt wurden, sind noch im Ideen- oder Konzeptstadium, etwa smarte Gürtel, Ohrringe als Fieberthermometer oder gar Biosensoren, die den Zuckergehalt im Blut überwachen. Bis die Innovationen auf den deutschen Markt kommen, vergehen oft Monate oder Jahre.
Augen auf bei smarten Brillen
Das größte Potenzial sehen Fachleute bei smarten Brillen. Einige Hersteller bieten bereits Modelle an. Sie könnten sich in den nächsten Jahren zum Renner entwickeln, meint Sebastian Klöß, Leiter Märkte und Technologien beim Digitalverband Bitkom: „Die Hälfte der Bevölkerung trägt ohnehin eine Brille“. Anders als die klobigen VR-Brillen, deren Nutzer komplett in virtuelle Welten abtauchen, unterscheiden sich Smartglasses optisch kaum von konventionellen Sehhilfen. Sie integrieren aber Funktionen eines Smartphones: In den Bügeln der Ray-Ban-Sonnenbrille von Facebook-Mutter Meta zum Beispiel sind Lautsprecher, Mikrofon und Kamera verbaut. Der chinesische Anbieter Xreal verkauft Brillen zum Abspielen von Filmen und Videos; die Gläser sind Bildschirme.

Noch aber bemängeln Tester regelmäßig die Qualität vieler Funktionen. Vorerst bleiben die Produkte eine Domäne von Technik-Enthusiasten, die bereit sind, mehrere Hundert Euro vor allem deshalb auszugeben, weil sie damit zur Avantgarde gehören.
Und die Risiken? Schließlich verarbeiten die Geräte Unmengen an Daten – zur Person, der Gesundheit oder den Aufenthaltsorten. Eine Fundgrube für Kriminelle, die die Identität eines Nutzers stehlen oder ihn erpressen wollen. „Machen Sie sich bewusst, wie Ihr Gerät arbeitet, welche Daten Sie mit der Nutzung Ihres Geräts generieren und wo diese gespeichert werden“, rät das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.
Weniger Vorbehalte
Besonders heikel ist es, wenn Wearables mit dem Smartphone verbunden sind und Unbefugte darüber auf Inhalte wie Fotos oder Kontaktdaten zugreifen können. Deshalb unbedingt – auch nach jeder Aktualisierung – die Zugriffsberechtigungen überprüfen, Updates rasch installieren und Daten möglichst verschlüsseln.
Insgesamt seien die Bedenken von Verbrauchern jedoch nicht mehr so groß wie noch vor Jahren, sagt Experte Klöß: „Die Geräte sind etabliert, das Vertrauen in die Datensicherheit ist gestiegen.“ Zudem hätten die Nutzer bessere Möglichkeiten, den Datenschutz individuell einzustellen. Der Bitkom-Mitarbeiter sieht jedoch ein anderes Risiko, insbesondere bei Trackern: dass Nutzer permanent ihre Körperdaten überwachen und sich so unter Druck setzen. Zum Glück hilft gegen den selbst gemachten Psychoterror ein einfaches Mittel: hin und wieder ausschalten.
„Besseres Erlebnis“
Interview mit Reinhard Karger, Sprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz und Mitglied des Aufsichtsrats.

Mein Lübecker: Warum setzen sich Wearables jetzt auf breiter Front am Markt durch?
Karger: Das Nutzererlebnis ist besser geworden. Durch die Miniaturisierung kann eine Smartwatch Rechenoperationen durchführen, für die man früher einen Laptop gebraucht hätte. Auch Batterien sind kleiner und leistungsstärker geworden, sodass sich manche Wearables tagelang nutzen lassen, ohne dass man sie zwischendurch aufladen muss.
ML: Was hat künstliche Intelligenz mit dem Boom zu tun?
Karger: Das geht Hand in Hand mit der verbesserten Hardware. KI ist der Motor für die Datenauswertung. Besonders interessant ist das im Gesundheits- und Fitnessbereich: Werden regelmäßig Grenzwerte überschritten und wann? Solche Muster kann eine KI zuverlässig erkennen.
ML: Welche Entwicklungen finden Sie besonders spannend?
Karger: Smarte Brillen werden interessant werden. Technisch ist eine der Herausforderungen, Texte so ins Blickfeld zu projizieren, dass es nicht als störend empfunden wird. Dann könnte sich etwa ein Fußgänger Routen oder Informationen zur Umgebung einblenden lassen. Die Nachfrage wäre da, aber derzeit ist das Produkt noch nicht gut genug. Potenzial sehe ich auch bei der Seniorentechnologie: Anwendungen wie Blutdruckmessung oder Sturzerkennung, die gerade Älteren das Leben erleichtern.
Fotos: Adobe Stock, Christian Krinninger, dpa/Picture Alliance, Midjourney, PR