„Am Kapitalmarkt gibt es Spielraum nach oben“

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Der Chefvolkswirt der Deka, Ulrich Kater, macht Anlegerinnen und Anlegern Hoffnung, dass das Schlimmste an den Aktien- und Anleihenmärkten ausgestanden ist. Er setzt auf die Anpassungsdynamik der Unternehmen und empfiehlt, den regionalen Fokus im Portfolio nicht zu eng zu halten.

Interview: Thomas Luther

Mein Lübecker: Herr Kater, die Verunsicherung bei vielen Anlegerinnen und Anlegern ist groß durch die Lieferengpässe und die stark gestiegenen Energiepreise infolge des Ukrainekriegs. Was davon wird 2023 zum Ballast für die Börsen?
Kater: Kurzfristig werden die Belastungen aus den genannten Faktoren im Vordergrund stehen. Im Verlauf des Jahres 2023 hellen sich die Perspektiven allerdings dann auf. Das ist aus Sicht von Anlegerinnen und Anlegern sicherlich auch das Entscheidende, denn die Kapitalmärkte blicken erfahrungsgemäß voraus.

„Wir rechnen mit einem starken Einbruch der Industriegüterproduktion“

ML: Der Winter wird vielleicht nicht so schlimm wie bisher erwartet, und es gibt dann im Frühjahr 2023 eine starke konjunkturelle Erholung?
Kater: Das würde ich so nicht unterschreiben. In unserem Basisszenario erwarten wir in Europa im ersten Quartal eine rückläufige Wirtschaftsentwicklung, die besonders in Deutschland ausgeprägt ausfallen wird. Einschränkungen bei der Gas- und Stromversorgung der Unternehmen halten wir hier nicht für ausgeschlossen, auch wenn die Politik einiges tut, um gegenzusteuern. Aber im Gegensatz zur Coronakrise trifft die Energiekrise das Herzstück der deutschen Wirtschaft: die Industrie. Wir rechnen daher mit einem starken Einbruch der Industriegüterproduktion, der allerdings durch die besonderen Umstände bedingt ist.

ML: Und wie geht es dann 2023 weiter?
Kater: Es wird Nachholeffekte ab dem Frühjahr geben. Im Laufe des Jahres werden dann auch die Energiepreise wieder zurückgehen. Teilweise ist das ja schon jetzt zu beobachten, wenn man als Bezugsmaßstab die Höchststände aus dem vergangenen Sommer nimmt. Damit werden dann auch die Inflationsraten wieder sinken, und in der Folge wird sich das Konsumentenvertrauen wieder festigen. Zusammengefasst: Es wird starke Schwankungen geben, die aber beherrschbar sind. Dieses Szenario gilt unter der Einschränkung, dass das Infektionsgeschehen bei Covid unter Kontrolle bleibt und der Krieg in der Ukraine nicht weiter eskaliert.

ML: Wie wird die Entwicklung in den Vereinigten Staaten verlaufen?
Kater: Dort wird die Entwicklung gar nicht so sehr anders verlaufen als in Europa, wenn auch aus anderen Gründen. Jenseits des Atlantiks steuert die US-Notenbank mit ihren Zinserhöhungen energisch gegen die Inflation, um die starken Impulse abzufedern, die die Regierung durch ihre Hilfsmaßnahmen während der Coronapandemie gesetzt hat. Für die US-Wirtschaft rechnen wir daher trotz des Gegenwinds mit einem ganz leichten Wachstum 2023 von etwa 1 Prozent, in Europa mit 0,3 Prozent.

„Die Notenbanken werden in ihrem Kampf gegen die Inflation nicht nachlassen“

ML: Besteht das Risiko, dass die Notenbanken die Zügel in ihrer Geldpolitik zu stark anziehen werden und mit zu schnellen Leitzinserhöhungen die Konjunktur abwürgen?
Kater: Die Gefahr besteht durchaus. Die Notenbanken werden jedenfalls nicht nachlassen in ihrem Kampf gegen die Inflation. Dazu steht zu viel ihrer Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, nachdem sie am Anfang der Preiswelle zu sorglos agiert haben. Lassen die Währungshüter zu früh die Zügel locker, riskieren sie, dass die Inflation auf einem so hohen Niveau bleibt, dass sie sich nicht mehr einfach abschütteln lässt. Damit würden die gesamten Kapitalmärkte in Unruhe versetzt. Das ist sicherlich von beiden Optionen die schlechtere.

ML: Lohnt es sich denn für Anlegerinnen und Anleger, wieder in sicheren Zinsanlagen zu investieren?
Kater: Dazu ist es sicherlich noch zu früh, weil der Abstand zwischen den Einlagezinsen und der laufenden Inflationsrate immer noch sehr groß ausfällt, sodass die realen Renditen weiterhin negativ ausfallen. Es wird schon noch einige Zeit dauern, bis sich das Tempo der Preissteigerungsraten wieder dauerhaft unterhalb des Zinsniveaus einpendeln wird.

ML: Können denn Anlegerinnen und Anleger die Hoffnung haben, dass bei Aktien nach den starken Kurseinbrüchen im vergangenen Jahr das Schlimmste ausgestanden ist?
Kater: Zwischenzeitlich war sehr viel Pessimismus in den Kursen enthalten, vielleicht sogar zu viel. Das wird der Winter zeigen. Entscheidend ist, den Fokus nicht allein auf die Euro-Zone und speziell Deutschland zu richten, wo die Unternehmensgewinne vor allem im ersten Halbjahr unter Druck bleiben werden. Aber hier haben viele Unternehmen auf die veränderten Rahmenbedingungen bereits reagiert und nehmen Anpassungen vor. Das macht Hoffnung. Gleichzeitig sind auch die Bewertungen sowohl an den Renten- als auch den Aktienmärkten korrigiert worden, sodass es wieder Spielraum nach oben gibt. Gerade auf der Aktienseite finden sich zum Teil einige sehr niedrig bewertete Titel. Was auch nicht vergessen werden sollte: Der DAX-40-Index ist bestückt mit vielen multinationalen Konzernen, die einen mitunter erheblichen Teil ihrer Umsätze außerhalb von Deutschland in allen Teilen der Welt machen. Wir rechnen daher nicht mit ausgeprägten Gewinnrevisionen bei den sehr großen Firmen.

ML: Gilt das auch für amerikanische Börsentitel?
Kater: Die Situation an den US-Märkten ist anders, sie bieten eine andere Branchenauswahl – vor allem im Technologiebereich. Viele US-Unternehmen sind im Vergleich zu Europa immer noch hoch bewertet. Sie bieten aus Sicht der Anlegerinnen und Anleger aber im Gegenzug eine vergleichsweise stabile Aussicht auf ihre Gewinnentwicklung. Die Kunst liegt darin, eine gute regionale Balance und breite Streuung im Portfolio zu finden. Also eigentlich ist die Herausforderung die gleiche wie immer.

ML: Gilt die Grundregel noch, nach der Aktien alternativlos sind im derzeitigen Anlageumfeld?
Kater: Nein, die Zahl der Alternativen steigt wieder an. Auch viele Anleihensegmente haben nach den starken Kursrückgängen im Zuge der Zinssteigerungen an Attraktivität gewonnen.

Zur Person: Ulrich Kater

Der Chefvolkswirt und Leiter des Teams Makro Research der Deka begann seine akademische Karriere an der Universität seiner Heimatstadt Göttingen und promovierte 1995 in Köln. Seit 1999 arbeitet Ulrich Kater bei der Fondsgesellschaft der Sparkassen-Finanzgruppe. Er trieb dort maßgeblich den Aufbau der volkswirtschaftlichen Abteilung voran und übernahm 2004 deren Leitung. Zuvor war der 58-Jährige im Stab der fünf Wirtschaftsweisen für die Themen Geldpolitik und Kapitalmarkt verantwortlich gewesen. Seit 2006 ist Kater zudem Vorsitzender des Beirats für Wirtschaftsfragen im Bundesverband Öffentlicher Banken.

Fotos: Deka