Häusliche Pflege: In Würde alt werden

Die meisten Menschen verbringen ihren Lebensabend in den eigenen vier Wänden. Wann das auch bei Pflegebedürftigen klappt und wie sich ihre Angehörigen vor Überforderung schützen können.

Text: Daniela Eckstein

Den Ruhestand genießen, ohne Stress in den Tag hineinleben, reisen oder lange vernachlässigten Hob­bys nachgehen: Was zu Beginn der Rente noch pro­blemlos möglich ist, wird mit zunehmendem Alter schwieriger. Sobald Krankheiten die Beweglichkeit einschränken oder man vergesslicher wird, ist ein ­Leben ohne Unterstützung oft nicht mehr möglich.

Die Statistik ist eindeutig: Benötigen von den 70-Jährigen rund 11 Prozent Leistungen der Altenpflege, so sind es bei den 80-Jährigen schon 35 Prozent und ab 90 Jahren sogar 87 Prozent. Dabei bleiben die meisten in den eigenen vier Wänden; nur jeder siebte der 5,7 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland zieht in ein Heim. 86 Prozent werden zu Hause betreut, in mehr als der Hälfte aller Fälle ausschließlich von ihren Angehörigen, ansonsten gemeinsam mit oder nur durch einen ambulanten Pflegedienst.

Auch wenn es hierzulande viele Unterstützungs­angebote und Finanzhilfen für Betroffene gibt: Die Krise des deutschen Pflegesystems ist längst bei der häuslichen Pflege angekommen. Daher gilt es, sich frühzeitig mit den Möglichkeiten vertraut zu machen. Und auch den Familien sollte klar sein, welche Belastung sie durch die Pflege von Angehörigen auf sich nehmen. Wie sie damit zurechtkommen können, erklärt der Kölner Psychotherapeut Harald Fuchs, der selbst mit seiner pflegebedürftigen Ehefrau zusammenlebt (siehe Interview).

Ambulante Pflegedienste einbinden

Anfangs geht es meist um kleine Dinge, bei denen man Hilfe oder Begleitung braucht: beim Haushalt oder Einkauf, bei Behördenangelegenheiten, Arzt­besuchen oder Spaziergängen. Oft bieten Nachbarn, Ehrenamtliche oder Angehörige Unterstützung an.

Zuhause pflegen – Nähe, Fürsorge, Herausforderung.

Sobald jemand mehr Betreuung benötigt, wenn er oder sie zum Beispiel dauerhaft im Rollstuhl sitzt oder bettlägerig ist, wird häufig ein ambulanter Pflegedienst hinzugezogen, der bei Bedarf sogar mehrmals täglich in die Wohnung der Patienten kommt. Er übernimmt nicht nur die medizinische Betreuung, sondern kümmert sich auch um Körperpflege, Haushalt und Freizeitgestaltung.

Von der Art der erbrachten Leistung hängt ab, in welchem Umfang die Kasse sich an der Finanzierung beteiligt. Besorgt der Pflegedienst Medikamente, setzt er Insulinspritzen, zieht er Stützstrümpfe an und aus oder versorgt er Wunden, handelt es sich um häusliche Krankenversorgung, die – bis auf eine Zuzahlungsgebühr – vollständig von der Krankenkasse bezahlt wird.

So zahlt die Pflegekasse

Anders ist es bei Körperpflege, Hauswirtschaft oder sozialer Betreuung. Hier ist die Pflegekasse zuständig, und man muss zunächst als pflegebedürftig anerkannt sein, um von ihr Geld zu erhalten. Die Pflegekasse übernimmt auch nicht alle Kosten, sondern zahlt nur einen fixen monatlichen Zuschuss, dessen Höhe sich danach richtet, welcher der fünf möglichen Grade der Pflegebedürftigkeit vom Medizinischen Dienst bei einem Patienten festgestellt wurde.

Wer Pflegegrad (PG) 1 – die niedrigste Stufe – hat, kann monatlich nur den sogenannten Entlastungsbetrag von 131 Euro ausschöpfen, etwa für nachbarschaftliche Hilfe, die von dafür zugelassenen Personen geleistet wird. Bei den anderen vier Pflegegraden gibt es mehr Geld, wobei zwischen drei Varianten zu wählen ist: Kümmert sich ein ambulanter Pflegedienst allein um die Betreuung, gewährt die Kasse für diese Pflegesachleistungen zwischen 796 Euro pro Monat bei PG 2 und 2299 Euro bei PG 5.

Einkaufen ist nur eine von vielen Leistungen, die ambulante Pflegedienste erbringen.

Übernehmen Angehörige dagegen allein die Pflege, erhalten sie das deutlich geringere Pflegegeld: zwischen 347 Euro bei PG 2 und 990 Euro bei PG 5. Bei der dritten Variante, dem Kombinationsmodell, teilen sich die Angehörigen die Arbeit mit den Profis. Sollte der Pflegedienst sein Budget nicht ausschöpfen, findet eine Auszahlung an die Familie statt, aber bemessen als Prozentsatz des niedrigeren Pflegegelds.

Pflegesystem stößt an seine Grenzen

Ein großes Problem: Die ambulanten Pflegedienste leiden genau wie die Seniorenheime unter gewal­tigem Kostendruck und Personalmangel. „Pflegebedürftige können kaum darauf hoffen, jeden Tag zu einer bestimmten oder auch nur zur stets gleichen Uhrzeit versorgt zu werden. Manchmal kann eine morgens gewünschte Unterstützung bei der ­Grundpflege sogar nur abends erbracht werden“, berichtet Sven Wolfgram vom Bundesverband privater Anbieter so­zialer Dienste.

Auch reicht bei Menschen mit starker Pflegebedürftigkeit der Kassenzuschuss oft nicht aus. Edeltraut Hütte-­Schmitz, geschäftsführender Vorstand des Angehörigenverbands Wir pflegen e. V., gehört zu den schärfsten Kritikerinnen des Pflegesystems. Sie berichtet von Fällen, in denen Betroffene mit PG 5 pro Monat bis zu 2500 Euro hinzuzahlen müssten, weil die tatsächlichen Kosten höher seien. „Das geht schnell an die finanzielle Substanz. Wir fordern daher den Umbau der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung, die sämtliche Kosten trägt“, erklärt sie.

Glücklich, wer Angehörige hat

Noch schlimmer ist, dass Pflegedienste immer häufiger Hilfesuchende abweisen. Viele nehmen niemanden mehr mit hohem Pflegebedarf auf oder kündigen Patienten – manchmal sogar kurzfristig. „Es handelt sich nur um einen normalen Dienstleistungsvertrag mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen zum Monatsende“, warnt Rechtsanwalt Markus Sutorius vom Biva-­Pflegeschutzbund, der in juristischen ­Fragen berät. „Im ambulanten Bereich sind die Kunden damit schlechter gestellt als in der stationären Pflege.“

Betroffene geraten dann leicht in eine dramatische Lage, denn auch die Zahl der Pflegeheimplätze sinkt, sodass man nicht schnell dorthin ausweichen kann. Froh sein können daher alle, die Verwandte haben, die sie durch den Pflegedschungel lotsen und in Ausnahme­situationen oder dauerhaft mithelfen.

Vorausschauend handeln

Viele Senioren sträuben sich anfangs gegen Hilfe. Doch wegen der Lücken im Pflegesystem darf man keine Zeit verlieren. Um sich das Leben dauerhaft zu erleichtern, sollte man früh handeln, zum Beispiel das Bad barrierefrei umbauen lassen oder in eine seniorengerechte Wohnung, möglichst im Ort der nächsten Verwandten, ziehen. Für Umbau oder Umzug zahlt die Pflegekasse schon ab PG 1 einen Zuschuss von 4180 Euro.

Ebenso wichtig ist, dass pflegende ­Angehörige nicht überfordert werden, denn sie sind oft noch berufstätig oder selbst schon betagt. Ihnen sollten die Pfleglinge regelmäßige Urlaube gönnen, auch wenn sie sich selbst in dieser Zeit in einem Heim oder von Fremden betreuen lassen müssen.

Anlaufstellen für die Pflege

/  Wer Angehörige daheim pflegt, muss sich gut informieren.

Pflegeversicherung. Infos von Ministerien und Verbraucherzentralen finden sich unter www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/pflege-zu-hause und www.wege-zur-pflege.de. Beim Bürgertelefon 030 34 06 06 602 gibt’s persönliche Beratung.

Psychologische Beratung. Interessierte können sich unter 030 20 17 91 31 an das Pflegetelefon des Bundesfamilienministeriums wenden und Infos unter www.pflegen-und-leben.de finden.

Selbsthilfe. Die Vereine „Wir pflegen“ und Biva-Pflegeschutzbund bieten ihren Mitgliedern Rat und Vernetzungsmöglichkeiten: www.wir-pflegen.net und www.biva.de.

Demenz. Infos gibt es unter www.wegweiser-demenz.de, per­sönliche Beratung durch die Deutsche Alzheimer Gesellschaft: Telefon 030 25 93 79 514, www.deutsche-alzheimer.de.

„Pflege auch als Chance sehen“

Harald Fuchs

/  Psychotherapeut Harald Fuchs weiß aus eigener Erfahrung um die Nöte von pflegenden Angehörigen.

Mein Lübecker: Worauf muss man sich einstellen, wenn man seine Eltern oder den Partner unterstützt?
Fuchs: Vor allem, wenn Ge­dächtnisverlust im Spiel ist, ändert sich die Beziehung dramatisch. Der Sohn rutscht zum Beispiel in eine Elternrolle gegenüber der eigenen Mutter und muss ihr Anweisungen geben, was sie tun oder lassen soll. Dagegen wehren sich zu pflegende Menschen oft, teilweise aggressiv.

ML: Wie geht man mit der Abwehr gegen Hilfe um?
Fuchs: Wenn man sich in die Situation des Hilfsbedürftigen hineinversetzt, kann man seinen Widerstand leichter akzeptieren. Es ist eben schwer, nach einem langen Leben fremdbestimmt zu werden oder sich bei fortgeschrittener Demenz kaum mitteilen zu können. Letztlich lassen sich Blockaden nur überwinden, wenn man freundlich bleibt – freundlich, aber direkt.

ML: Wie verhindert man als Angehöriger das Gefühl der Überforderung?
Fuchs: Wohl jede Person, die ihre Lieben pflegt, verzweifelt irgendwann einmal. Etwa, wenn man zusammenlebt, die Pflege nachts weitergeht und man nicht richtig schläft. Da tut es gut, Gesprächspartner und Unterstützer zu haben. Und es hilft, Pflege als Chance zu sehen: als eine Schule der Geduld und Flexibilität. Häufig genug wird man ja mit Erfolgserlebnissen belohnt: wenn es dem Pflegling gut geht und er einem ein Lächeln schenkt.

Fotos: Adobe Stock, Mauritius Images, Harald Fuchs, Midjourney

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