Gleiche Chance im Beruf für alle

Menschen mit Behinderungen haben es am Arbeitsmarkt schwer. Dabei gibt es viele ermutigende Beispiele und eine umfangreiche Förderung, damit sie beruflich Fuß fassen.

Text: Daniela Eckstein

So herzlich wird selten um neue Kolleginnen und Kollegen geworben: In jeder Stellenanzeige des Logistikkonzerns Dachser steht der Satz: „Alle Menschen sind willkommen.“ Das im Allgäu ansässige Familienunternehmen hat sich Chancengleichheit in die Unternehmenskultur geschrieben und bemüht sich intensiv darum, den Anteil der schwerbehinderten Mitarbeitenden zu erhöhen.

Mit gutem Beispiel geht auch David Hegemann voran, der in Düsseldorf fünf Rewe-Märkte betreibt. Aktuell haben zehn seiner 170 Angestellten ein gravierendes Handicap. Damit erfüllt er die gesetzliche Vorgabe deutlich: Firmen ab 20 Beschäftigte sind verpflichtet, fünf Prozent ihrer Arbeitsstellen mit Schwerbehinderten zu besetzen. Bei der Beschäftigungspflicht geht es um Menschen, die vom Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 anerkannt bekommen oder bei einem GdB von 30 oder 40 gleichgestellt werden.

Wer die Quote nicht erfüllt, muss dies finanziell ausgleichen, wobei der zu zahlende Betrag gestaffelt ist: Je größer der Betrieb und je geringer der Anteil der Schwerbehinderten in der Belegschaft ist, umso höher fällt er aus.

Viele Firmen drücken sich vor der Verantwortung

Weil ein Viertel der dazu verpflichteten Unternehmen sich komplett drückt, hat der Staat die Ausgleichsabgabe erhöht. Firmen ab 60 Beschäftigte zahlen seit 2024 pro Stelle und Monat 720 Euro, wenn sie keinen einzigen Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen. Durch die aktuelle Wirtschaftskrise haben sich die Chancen für Gehandicapte auf dem Arbeitsmarkt sogar weiter verschlechtert. Das zeigt unter anderem das „Inklusionsbarometer Arbeit“ der Aktion Mensch, die sich für bessere Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung einsetzt. Die Sprecherin Christina Marx freut aber, dass sich zunehmend kleinere Firmen, für die die Beschäftigungspflicht nicht gilt, für Inklusion öffnen (siehe Interview unten).

Eines der engagierten Kleinunternehmen ist die Webdesign-Agentur Hansolu in Lübeck. Hier arbeitet seit elf Jahren der Mediengestalter Paul Sznabel, der halbseitig gelähmt und daher auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Zunächst schien es undenkbar, dass er in dem verwinkelten Altbau, in dem die Agentur sitzt, mit einem Rollstuhl klarkommen könnte.

Die Firma mit aktuell acht Mitarbeitenden wagte es trotzdem, ihn einzustellen, baute mit öffentlichen Geldern etwas um und ist heute immer noch froh, dass Paul im Team ist. „Unsere Perspektive auf das Thema Behinderung hat sich dadurch deutlich geändert“, sagt Geschäftsführer Alex Scheuß. Inzwischen engagiert sich die Firma noch mehr in Sachen Inklusion – ehrenamtlich bei der Aktion „Mölln inklusiv“ und geschäftlich als Anbieter für barrierefreie Webseiten.

Ebenso vorbildlich ist die Schreinerei Stilfabrik in Neuss am Rhein. Tischlermeister Piet Hülsmann beschäftigt, seit er sich 2003 selbstständig machte, regelmäßig Menschen mit den unterschiedlichsten Handicaps und freut sich über diese „tollen Kollegen“. Für sein Team – dem derzeit neun Menschen angehören – sei das kein Problem, da ohnehin alle aufeinander Rücksicht nehmen. „Es hat ja jeder seine Besonderheiten, die ich bei der Organisation berücksichtige“, sagt Piet Hülsmann. „Wer Höhenangst hat, muss nicht auf dem Dach arbeiten. Eltern kleiner Kinder dürfen schon mal früher gehen. Genauso stellen wir uns auf die Herausforderungen durch eine Behinderung ein.“

Öffentliche Förderung

Mit Beratung und finanzieller Förderung unterstützt der Staat Unternehmen dabei, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Ist der schwerbehinderte oder gleichgestellte Angestellte weniger leistungsfähig, kann ein Beschäftigungssicherungszuschuss beantragt werden. Und Finanzspritzen, finanziert aus der Ausgleichsabgabe, gibt es zudem für die Anpassung der Arbeitsplätze, wenn etwa ein spezieller Sitz für den Gabelstapler oder ein höhenverstellbarer Schreibtisch gebraucht wird. Piet Hülsmann bekam von der Handwerkskammer und vom Integrationsfachdienst (IFD) Neuss viel Rat und Hilfe – unter anderem beim Ausfüllen der Förderanträge – und ist darüber begeistert: „Die leisten alle großartige Arbeit.“

Barrierefrei arbeiten. Der Staat unterstützt Unternehmen auch bei der Anpassung der Arbeitsplätze.

Integrationsfachdienste arbeiten im Auftrag der Integrations- oder Inklusionsämter. Sie stehen Arbeitgebern ebenso zur Seite wie Arbeitnehmenden mit Schwerbehinderung und Gleichstellung. Sabrina Keesen leitet den BBD im Kreis Neuss, der Träger des dortigen IFD ist. Sie lädt alle Beteiligten ein, sich bei Fragen und Problemen unbürokratisch an sie zu wenden: „Unsere Beratung ist kostenfrei, vertraulich und allparteilich.“

In Gesprächen wird geklärt, was eine Person mit Schwerbehinderung gerade braucht: Ist sie arbeitssuchend? Ist der Job in Gefahr? Steht eine berufliche Reha an, ist technische Unterstützung erforderlich oder sollte ein Jobcoach direkt am Arbeitsplatz unterstützen? Keesen: „Der IFD hält die Fäden in der Hand, klärt die Lage am Arbeitsplatz und leitet erforderliche Maßnahmen ein.“ Auch im Falle einer Kündigung kann der IFD im Auftrag des zuständigen Integrations- oder Inklusionsamts beteiligt sein.

Besonderer Schutz

„Es gibt die Vorstellung, dass schwerbehinderte Menschen unkündbar seien“, so Sabrina Keesen. „Das stimmt aber nicht. Schwerbehinderte und Gleichgestellte dürfen durchaus entlassen werden, nur nicht wegen der Behinderung.“ Dieser besondere Kündigungsschutz gelte sogar, wenn der Beschäftigte den Chef vorher nicht über seinen Status als Schwerbehinderter informiert hat, etwa wenn die Behinderung nicht sichtbar ist. Denn dazu ist niemand verpflichtet. Dann entgehen ihm allerdings einige Vorteile – etwa den Arbeitsplatz behinderungsgerecht gestalten zu lassen oder fünf zusätzliche Urlaubstage pro Jahr nehmen zu dürfen. Letzteres steht nur Schwerbehinderten zu, also bei einem GdB ab 50.

 

Anlaufstellen

Information, Beratung und Jobangebote rund ums Thema Inklusion.

 

„Hoch qualifiziert und erfolgreich im Job“

Christina Marx

Christina Marx ist Sprecherin der Aktion Mensch. Sie rät Unternehmen, mehr Menschen mit Behinderung zu beschäftigen.

Mein Lübecker: Wie beurteilen Sie die berufliche Teilhabe von Menschen mit schwerer Behinderung?
Christina Marx: Die Wirtschaftskrise hat die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft, sie war aber auch vorher nie gut. Mit Schwerbehinderung sind Berufstätige doppelt so häufig arbeitslos wie ohne. Sie suchen länger nach einer neuen Stelle und sind eher langzeitarbeitslos. Besonders hart trifft es Frauen.

Mein Lübecker: Was sind die Ursachen dafür?
Marx: Vor allem Vorurteile und Unwissenheit halten Unternehmen davon ab, Menschen mit Behinderung einzustellen – etwa die Meinung, dass sie unkündbar seien, was nicht stimmt. Oder die Erwartung, dass sie weniger leisten. Tatsächlich sind viele von ihnen hoch qualifiziert, beruflich engagiert und erfolgreich.

Mein Lübecker: Wirkt sich die Krise überall gleich aus?
Marx: Nein, zum Beispiel nimmt die Zahl der inklusiven Unternehmen, die die Aktion Mensch oft fördert, kontinuierlich zu. Sie bieten sozialversicherungspflichtige Jobs, beschäftigen aber 30 bis 50 Prozent schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen. Vor allem freut mich, dass sich immer mehr Kleinunternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitenden für Inklusion öffnen, obwohl sie nicht dazu verpflichtet sind.

Mein Lübecker: Welchen Rat haben Sie für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Marx: An die Unternehmen appelliere ich, ihre Haltung und Unternehmenskultur zu überprüfen und sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen. Den Betroffenen empfehle ich, unbedingt ihren Arbeitgeber über die Behinderung zu informieren, gerade wenn sie unsichtbar oder erst während der Betriebszugehörigkeit entstanden ist. Durch Anpassung des Arbeitsplatzes oder der Arbeitszeit lassen sich viele Probleme verhindern oder lösen.

Fotos: Adobe Stock, Matthes Kalter/Aktion Mensch / Illustration: Adobe Stock

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