Mit Mitte 50 einen neuen Karriereschritt zu wagen, das geht in Zeiten des Fachkräftemangels. Wer beim Gehalt zu Abstrichen bereit ist, hat heute weitaus bessere Chancen auf dem Markt als früher. Worauf es beim Jobwechsel ankommt.
Text: Eva Neuthinger
Ihr alter Job wurde Carola Schmidt (Name geändert) zu stressig. Die Geschäftsführung wollte ihre Abteilung umstrukturieren – leider ganz anders, als es ihren Vorstellungen entsprach. Daher kündigte die Münchnerin. Eine riskante Sache für die 56-Jährige, denn bis zum regulären Rentenalter muss sie noch eine Dekade arbeiten. Aber Arbeitnehmer in ihrem Alter gehören für viele Unternehmen inzwischen nicht mehr zum alten Eisen.
Zwar zog sich die Bewerbungsphase über Monate, und die Betriebswirtin führte mehrere Gespräche. Dann aber bekam Carola Schmidt die Chance, bei einer kleineren Firma eine neue Abteilung aufzubauen. „Die Konditionen sind zwar deutlich schlechter als bei meinem bisherigen Arbeitgeber. Aber die neue Tätigkeit füllt mich aus, und sie bereitet mir Freude“, bilanziert Schmidt. Sie kommt damit klar, dass sie weniger verdient, weil sie etwas Kapital zurücklegen konnte.
Ältere Beschäftigte sind leistungsfähig
Kein Einzelfall, wenn erfahrene Arbeitnehmer einen neuen Job suchen. Zwar konkurrieren sie mit jungen Bewerbern, haben aber dennoch Chancen. Professor Martin Brussig, Forschungsabteilungsleiter beim Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, macht Mut: „Unternehmen haben gelernt, dass ältere Beschäftigte leistungsfähig sind. Mit Mitte oder Ende 50 kann man heute besser als vor 20 Jahren einen neuen Job finden.“
Wie hoch der Anteil der älteren Arbeitnehmer ist, die im Berufsleben stehen, hängt stark von der jeweiligen Branche ab. Im Baugewerbe zum Beispiel haben es Silverheads, die sich neu aufstellen wollen, eher schwer. Grund ist, dass die Jobs körperlich hart sind und daher bevorzugt jüngere Mitarbeiter eingestellt werden. In anderen Wirtschaftsbereichen „kann es sein, dass es durch Transformation in vielen Betrieben und Branchen verstärkt zu Entlassungen älterer Arbeitnehmer kommt und der betriebliche Vorruhestand wieder auflebt“, befürchtet Brussig.
Prinzipiell haben Senior Experts in jenen Branchen gute Chancen, die stark mit dem Fachkräftemangel kämpfen. So sind IT-Spezialisten und Techniker generell gefragt, ebenso wie Ingenieure, Naturwissenschaftler, Umwelttechniker sowie Mikrobiologen oder Metallbauer bis zu Bankangestellten oder Mitarbeitern in der Pflege und im Gesundheitswesen. Hier sind Firmen und Institutionen meist unabhängig vom Alter an Bewerbungen interessiert.
Was kann ich?
Ältere Arbeitnehmer sollten sich allerdings an einige Regeln halten, wenn sie eine neue Herausforderung suchen. Headhunter Hans-Peter Luippold aus Frankfurt am Main gibt den Rat, im ersten Schritt seine Fähigkeiten aufzulisten. „Man sollte in seiner Bewerbung in den Vordergrund stellen, was man kann“, erklärt der Bewerbercoach.
Wer eine Orientierung haben wolle, welche Kompetenzen man sich in welchem Beruf aufbaue, könne „bei Chat-GPT seine bisherige Tätigkeit eingeben“, so Luippold. Die künstliche Intelligenz leitet daraus ab, welche Fähigkeiten man erworben hat. Ein Beispiel: Die Tätigkeit eines Dachdeckers ist sehr anstrengend. Wer im mittleren Alter eine neue Stelle finden will, muss einen langen Atem haben. Möglicherweise kommt man als Quereinsteiger eher zum Zuge. Laut Chat-GPT verfügen Dachdecker über körperliche Fitness, über Präzision und Geschicklichkeit, über Sicherheitsbewusstsein und über die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Das sind Kompetenzen, die für viele Tätigkeiten gebraucht werden.
Um an der richtigen Stelle anzudocken, sollten Bewerber sich ein Bild von der Marktsituation verschaffen, auch mit Blick auf die Branchenentwicklung. Momentan kämpfen viele Firmen aufgrund der wirtschaftlichen und der geopolitischen Entwicklung. Also stehen in einigen Branchen wie der Automobilindustrie Entlassungen an.
Profil im Internet verbessern
Doch nicht nur Branchen und Firmen sollte man im Netz kritisch prüfen, sondern auch sich selbst. Jeder potenzielle Arbeitgeber wird via Google und Co. Informationen zu einem interessanten Bewerber einholen. Negative Einträge und solche, die bereits zig Jahre zurückliegen, sollte man im Zweifel löschen oder löschen lassen.
Im Gegenzug kann man dafür sorgen, in neuen Beiträgen genannt zu werden. Wer ein Ehrenamt hat, macht das am besten öffentlich. Außerdem ist es gut, sich auf Karriereportalen wie Linkedin oder Xing zu präsentieren – mit dem Ziel, dort zu sein, wo die Arbeitgeber ebenfalls auftreten.

Aber eines ist leider auch klar: Karrieren sind in der Regel mit 55 Jahren mehr oder weniger abgeschlossen. Große Sprünge werden die meisten Silverheads nicht mehr machen. Wer ein Problem damit hat, wieder weiter unten anzufangen, sollte überlegen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Eine Option, die insbesondere für jene infrage kommt, die nicht aus eigenem Willen umsatteln wollen, sondern sich aufgrund einer betrieblichen Kündigung neu orientieren müssen. Denn aus der Arbeitslosigkeit heraus erweist sich die Suche nach einem neuen Job mit 55 plus häufig als sehr schwierig.
Vorurteile ignorieren
Andreas Seltmann entschied sich mit Anfang 50 für die freiberufliche Tätigkeit. Er war zuvor 25 Jahre lang als Marketingleiter bei mittelständischen Firmen beschäftigt gewesen, davon zwölf Jahre als Mitglied der Geschäftsleitung. Dann wollte er mehr „mit Menschen arbeiten als mit Produkten“, so Seltmann. Also machte er sich als Personalberater selbstständig. Mit großem Erfolg, obwohl er heute aus Erfahrung weiß: „Man muss mit über 50 Jahren gegen viele Vorurteile kämpfen.“ Den Schritt hat er dennoch nicht bereut, schließlich haben Selbstständige Freiheiten – zum Beispiel auch, selbst zu entscheiden, wann Schluss ist. Viele Freiberufler und Unternehmer bleiben noch Jahre über den regulären Renteneintritt hinaus im Geschäft.
Kein Wunder, denn Rente beziehen und noch etwas hinzuverdienen hat Charme. Da viele Babyboomer weiterhin beruflich aktiv sein wollen, steigt die Zahl der Rentner im Job stetig an. Im besten Fall haben die Firmen spezielle Programme zur Förderung und Integration der Silverheads. Sie reichen von Gesundheitsprojekten bis zu Maßnahmen zur Reduktion der Arbeitsbelastung, wie der aktuelle Arbeitsübergangsreport der Universität Duisburg-Essen feststellt.
Rente clever aufstocken
Und noch etwas ist gut zu wissen: Wer Altersrente bezieht – egal, ob vorgezogen oder regulär – kann in unbegrenzter Höhe hinzuverdienen. Die Deutsche Rentenversicherung kürzt die Leistungen nicht. Wer mag, kann sogar noch weiter Beiträge in das gesetzliche System einzahlen und so am Ende seine Rentenleistungen erhöhen.
Die Einnahmen sind zwar steuerpflichtig, aber Rentner haben meist einen niedrigen Steuersatz, weil sie insgesamt weniger Einkommen erzielen als zuvor. Hier kann es laut neuem Koalitionsvertrag noch zu Verbesserungen kommen, denn die neue Bundesregierung möchte Rentner mit Nebeneinkommen entlasten. Ab 2026 sollen monatlich 2000 Euro Einnahmen steuerfrei bleiben.
So bewerben Sie sich richtig
Senior Experts komprimieren am besten ihren Lebenslauf und konzentrieren sich auf ihre Pilotprojekte.
- Lebenslauf: Natürlich haben Sie viel zu bieten. Aber mehr als vier Seiten sollte der Lebenslauf nicht umfassen. In der Regel sind nur die vergangenen 10 bis 15 Jahre für die neue Firma interessant.
- Zeugnisse: Nachweise aus der Schulzeit sind ebenso wenig gefragt wie die der ersten Arbeitgeber. Dokumente zu Berufsabschlüssen kann man beilegen. Ansonsten anbieten, sie bei Bedarf nachzuliefern.
- Tätigkeiten: Hier darf es ausführlich werden. Erklären Sie, was Sie auf welcher Etappe gemacht haben. Am besten stellen Sie heraus, welche Fähigkeiten und Kompetenzen Sie erworben haben.
- Weiterbildung: Es ist ein Manko, wenn hier in den letzten Jahren nichts mehr passiert ist. Teilnahmezertifikate dürfen nicht fehlen.
- Netzwerk: Außerdem kommt es gut, sein Netzwerk und seine Kontakte zu erwähnen oder auf Ehrenämter hinzuweisen. Schließlich haben Silverworker mehr zu bieten als jüngere Bewerber.
„Neue Ideen offerieren“

Ältere Mitarbeiter punkten mit Sinn fürs Machbare, Ausdrucksvermögen und Krisenresilienz, sagt Andreas Seltmann, Experte für Employer Branding in Denzlingen sowie Autor und freier Berater.
Mein Lübecker: Wo findet man wenige Jahre vor der Rentenzeit einen neuen Job?
Seltmann: Bei Firmen, die für die Generation 50 plus aufgeschlossen sind. Die muss man ausfindig machen über Bekannte, Zeitungsberichte, Social Media oder die Websites der Firmen. Man muss ermitteln, was sie wollen, und anbieten, was man kann.
ML: Anbieten, was man kann: Was heißt das?
Seltmann: Im Idealfall finden Silverheads heraus, welche Projekte im Unternehmen geplant sind, und offerieren eine Idee, wie man sie angeht. Sie zeigen, dass sie die Fachkompetenz und Lebenserfahrung mitbringen, um diese Probleme zu lösen. Viele Firmen stellen Senior Experts gern auf Projektbasis ein. Nur darf man nicht arrogant auftreten oder einen Kniefall für frühere Leistung erwarten. Ihre erworbenen Schulterklappen sollten Bewerber abwerfen.
ML: Man sollte eher mit den Kompetenzen punkten?
Seltmann: Genau darum geht es. Senior Experts bringen eine ganze Reihe besonderer Fähigkeiten mit. Es gibt Studien, die belegen, dass sich das ganzheitliche Denken im Alter verbessert. Man verfügt über Krisenresilienz, besseres Ausdrucksvermögen und Sinn fürs Machbare. Solche und die individuellen Qualitäten gilt es im Kontakt mit einem potenziellen Arbeitgeber herauszustellen. Es kann hier helfen, gute Freunde um eine Einschätzung zu bitten und drei bis vier Kompetenzen aufzuschreiben.
ML: Was ist mit der Berufserfahrung?
Seltmann: Es ist sicher vorteilhaft, wenn Bewerber darstellen, welchen Nutzen sie der Firma bringen. Hier ist es legitim, seine früheren Erfolge in Zahlen und in Prozenten greifbar zu machen. Ansonsten sollte man die Badewanne an Erfahrung nicht auf einmal ausschütten, sondern sich selbst zurücknehmen, zuhören und auf Fragen antworten.
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